Reddition Reims/Berlin 1995 (Germain)

2002

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Aus dem Französischen von Helgard und Michel Mercier
Günter Metken, Reddition Reims/Berlin, 1995

Im Juni 1998 führt uns Siegmar Gassert auf der Landstraße, die in Serpentinen durch Weinberge und Obstwiesen führt bis zum Stadttor, am Ende des Sulzburger Tals. In der Gustav-Weil-Straße empfängt uns Jost Grosspietsch in der restaurierten Synagoge, die so sauber ist, so neu... nur das hölzerne Geländer, das uns zum 1. Stock führt, läßt mich zittern, ich spüre unter meiner Hand die irritierende Glätte, Spuren vergangener Hände auf dem Geländer. Man führt uns zum alten jüdischen Friedhof, dazu müssen wir den Ort durchqueren und weiter in den Wald hineingehen in Richtung des schwarzen Schwarzwaldes. Der jüdische Friedhof, einer der ältesten in der Gegend, schwebt gleichsam am Ende des Tals über dem steilen Abhang. Gleich am Eingang kann man auf einer Tafel, die an das schreckliche Geschehen erinnert, die Namen völlig ausgelöschter Familien lesen, quer durch alle Generationen, sie sind zwischen 1865 und 1921 geboren und alle zwischen 1941 und 1942 getötet worden.

Wie konnte ein so ruhiges, friedliches, freundliches Städtchen in ein solches Drama hineingezogen werden und wie konnte es dieses ertragen?

Am selben Tag schlagen mir Jost Grosspietsch und Wolfgang Heidenreich vor, eine Installation für die Synagoge zu gestalten. Ich bin so erschüttert und bewegt von der schrecklichen Situation, daß ich zögere, aber ich spüre, daß ich gerade hier an diesem Ort eine Antwort auf alle nur denkbaren Nostalgien geben muß, seien es auch die der Witwen von Nazigenerälen.

Ich möchte, daß mein Kunstwerk gleichzeitig mit Respekt der Opfer gedenkt und für uns, die wir so lebendig sind, unumgänglich und stark ist. Eins wird mir klar, ich muß den Ort unten im Tal, dort wo der Friedhof mit seinem schrecklichen Gedenkstein liegt, mit dem Eingang zum Städtchen am Rand der Weinberge und Obstwiesen hin zum Licht und zum Rhein verbinden. Unter den einladenden Apfelbäumen am Eingang von Sulzburg wird "Das Sulzburger Feld" ein Jahr lang eine Gruppe von Figuren der Erinnerung zeigen, Echo von unten aus dem Tal und Spiegel dessen was wir imstande sind zu sein und zu ertragen. Im Wandel der Jahreszeiten werden meine 51 Figuren für die Einwohner von Sulzburg und die Menschen aus der Umgebung sowie für die Touristen, die vorübergehen, präsent sein. Im Regen, unter Schnee, bei Sonnenschein, sie werden da sein wie sichtbare Geister. Zwischen den beiden Polen will ich für das Innere der Synagoge, im Gegensatz zu den Farben und dem Gold der Restauration unter dem himmlischen Blau-Violett der Glasfenster einen rätselhaften gewaltigen Haufen von rohen unbehauenen Figuren schaffen, ein Magma von liegenden Gestalten, ungeordnet dort abgelegt. Sie werden von zwei großen Figuren zurückgehalten, aber sind sie gut, sind sie Henker oder Opfer, Beschützer oder Ausführungsgehilfen? Sie müssen es selbst entscheiden. Für beide Skulpturengruppen werde ich Bäume benutzen, die oberhalb von Sulzburg wachsen, denn da sie 100 oder mehr Jahre alt sind, haben sie, Wächtern gleich, alles gesehen, alles gehört.


Für Günter,
Sommer 2000

Christian Lapie

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